Empfinden ohne Bewusstsein? Was Wachkomapatienten wahrnehmen
08.05.2012, 19:30 - 21:00
*Veranstaltungen (1996–2015) im Rahmen des »Turm der Sinne« sind vor Gründung von Kortizes abgehalten worden; jedoch mit maßgeblicher Arbeit des heutigen Kortizes-Teams. Die Auflistung hier erfolgt nur aus archivtechnischen Gründen.
TdS Vortragsreihe »Von Sinnen« 2012*
Empfinden ohne Bewusstsein?
Was Wachkomapatienten wahrnehmen
Vortrag von Dr. Simone Lang
Seit dem Fortschritt der modernen Medizin gibt es immer mehr Patienten, die sich infolge schwerster Schädel-Hirn-Verletzungen im Wachkoma oder im Zustand des minimalen Bewusstseins (MCS) befinden.
Während Wachkomapatienten per Definition keinerlei Bewusstsein besitzen, weisen MCS-Patienten inkonsistente Anzeichen von Bewusstsein auf. Die Unterscheidung beider Zustände ist sehr schwierig, da subjektives Erleben nicht durch äußere Verhaltensbeobachtung erfasst werden kann. Die Fehlerquote der Diagnosen liegt bei über 40%. Neurowissenschaftliche Studien, die Gehirnprozesse direkt erfassen, zeigen intakte kognitive Prozesse bei vielen Wachkomapatienten. In einer Einzelfallstudie konnte sogar Bewusstsein bei einer Wachkomapatientin, die eine mentale Vorstellungsaufgabe erfolgreich durchführte, aufgedeckt werden.
Doch wie sieht das generell bei Wachkomapatienten aus? Besonders schwer wiegt die Frage, ob die Patienten Schmerz und Leid empfinden können. In einer eigenen Studie entwickelten wir hierfür Tests, die auch nichtsprachliche Gedanken und Leidensfähigkeit messen und die in mehreren Schritten immer tiefere Bewusstseinsschichten erfassen. Untersucht wurde die neuronale Hirnaktivität per funktioneller Magnetresonanztomographie bei 21 Wachkomapatienten. Die Ergebnisse zeigten, dass viele Wachkomapatienten (11 von 21) Schmerz und Leid empfinden. Weniger häufig konnte höheres reflexives Bewusstsein, wie mentale Vorstellungsfähigkeit (3 von 21) oder Sprachverständnis (3 von 17) nachgewiesen werden. Die Ergebnisse sind besonders bedeutsam im Hinblick auf die Sterbehilfediskussion.