Symposium TdS 2014* | Empathie oder Gedankenlesen? Über die philosophischen Grundlagen unserer sozialen Intelligenz
28.09.2014, 11:45 - 12:30
*Veranstaltungen (1996–2015) im Rahmen des »Turm der Sinne« sind vor Gründung von Kortizes abgehalten worden; jedoch mit maßgeblicher Arbeit des heutigen Kortizes-Teams. Die Auflistung hier erfolgt nur aus archivtechnischen Gründen.
Empathie oder Gedankenlesen?
Über die philosophischen Grundlagen unserer sozialen Intelligenz
Vortrag von Prof. Dr. Philipp Hübl
Die Psychologen Haider und Simmel zeigten Versuchspersonen einen einfachen Zeichentrickfilm (1944), in dem sich zwei Dreiecke und ein Kreis hin- und herbewegten. Die Probanden behandelten die Figuren wie Menschen. Sie sagten »Der Kreis und das Dreieck sind verliebt« oder »Der Kreis hat Angst vor dem großen Dreieck«. Wer den Film sieht, kann sich dieser Suggestion tatsächlich nicht entziehen. Am Verhalten anderer abzulesen, was sie denken, fühlen und wollen, ist eine besondere Fähigkeit, die uns von anderen Tieren unterscheidet. Sie hat viele Namen, wie etwa »Gedankenlesen« (»mind reading«), »soziale Intelligenz«, »Alltagspsychologie«, »Personenverständnis«, und ist dabei so fein justiert, dass wir sogar geometrische Figuren wie Menschen behandeln. Philosophen haben lange Zeit nur unsere Zuschreibung von Wünschen und Überzeugungen im Blick gehabt und dabei die Gefühle vergessen. Umgekehrt konzentriert sich die Forschung in der Neurowissenschaft und Psychologie oft auf automatisierte und unbewusste emotionale Prozesse, und vernachlässigen dabei unser sprachlich, also kulturell vermitteltes Wissen. Empathie, also das Mitgefühl mit anderen, ist zwar ein wesentlicher Faktor für unser menschliches Zusammenleben, unterscheidet sich aber deutlich von unserer sozialen Intelligenz: Man kann mitfühlend sein, selbst wenn man andere nicht versteht, oder umgekehrt das Verhalten anderer richtig deuten, ohne empathisch zu sein. So wird die Entdeckung der berühmten Spiegel-Neuronen auch nur irrtümlicherweise für eine Revolution gehalten: Sie haben wenig mit unserem Verständnis für andere zu tun. Im Vortrag wird die These vertreten, dass unsere soziale Intelligenz aus vielen Systemen besteht, die zusammenarbeiten: die Blickrichtung deuten, die Aufmerksamkeit teilen, Gefühle an Gesichtsausdruck und Stimmlage ablesen, Überzeugungen zuschreiben, Sprache interpretieren, Handlungen deuten. Einige davon sind stammesgeschichtlich alt und weitgehend automatisiert, andere kulturell erlernt und bewusst steuerbar.