Symposium TdS 2014* | Den Anderen verstehen – Welche Strategien verwenden wir?
26.09.2014, 19:30 - 20:15
*Veranstaltungen (1996–2015) im Rahmen des »Turm der Sinne« sind vor Gründung von Kortizes abgehalten worden; jedoch mit maßgeblicher Arbeit des heutigen Kortizes-Teams. Die Auflistung hier erfolgt nur aus archivtechnischen Gründen.
Den Anderen verstehen
Welche Strategien verwenden wir?
Vortrag von Prof. Dr. Albert Newen
Es fällt uns gewöhnlich leicht zu erkennen, was andere Menschen gerade fühlen, was sie wünschen und zum Teil sogar, was sie planen. Wie gehen wir dazu vor? Die Vielfalt des Verstehens möchten wir durch drei Unterscheidungen systematisieren, die zugleich zentrale Dimensionen des Verstehens anderer darstellen. Die erste Achse wird vom Unterschied zwischen intuitivem Erfassen und reflektiertem Überlegen, was andere fühlen oder denken, gebildet. Das intuitive Erfassen liegt beispielhaft vor, wenn ich im Gesicht einer anderen Person ihre Freude sehen kann. Dagegen kommt ein reflektiertes Überlegen z.B. ins Spiel, wenn ein Kommissar intensiv überlegt, wie er die Indizien am Tatort mit den oft widersprüchlichen Aussagen von Verdächtigen zusammenbringen kann, welches Szenario am plausibelsten ist: Welches Motiv hätte Frau Meier, den Nachbarn zu vergiften? Eine zweite Achse bildet die Rolle der Kultur beim Verstehen des anderen: wenn wir Emotionen durch Gesichtsausdrücke erkennen, wenn wir die Freundlichkeit erfassen, dann stellt sich die Frage, ob das für alle Menschen gleichermaßen gilt oder ob es durch kulturelle Einflüsse stark modifiziert wird. Schließlich besteht eine dritte Achse in Personenmodellen, die wir beim Verstehen anderer Einbringen. Entgegen traditioneller Sichtweisen sind es nicht vorrangig ganze Theoriepakete oder Simulationsprozesse, die wir üblicherweise anwenden, sondern das Verstehen anderer basiert ganz wesentlich auf dem Anwenden von Personenmodellen, die wir von Einzelpersonen (Vater, Tochter, Arbeitskollegin etc.) haben oder von typischen Gruppen (wie Studierende, Manager, Sportlehrer) bilden. Ein Personenmodell ist eine Einheit von Eigenschaften, die wir mit einer Person (oder Gruppe) aufgrund unserer Erfahrung verbinden. Unser Verstehen anderer Personen ist vor allem ein Anwenden von Personenmodellen, wobei man dann klären kann, wann diese automatisch oder reflektiert angewendet werden (s. erste Achse) und in welchem Maße sie kulturabhängig sind (s. zweite Achse).